Bild: Foto: Archiv/GdP

EGMR: Polizisten haben ein berechtigtes Interesse, ihr Privatleben gegen zu Unrecht erhobene Vorwürfe eines Amtsmissbrauchs zu verteidigen

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat bereits am 31.10.2023 eine wichtige Entscheidung getroffen, die aktuell veröffentlicht wurde. Zugrunde lag ein Onlineartikel des Portals „bild.de“. Mit dem Artikel „Hier verprügelt die Polizei D. (28)“, wurde eine Videosequenz veröffentlicht, in der eine Einsatzsituation wiedergeben wurde. Das
Gesicht eines Kollegen war, als der den D. zu Boden brachte, deutlich in dem Video zu erkennen.

Nach einer Entscheidung des OLG Oldenburg durften diese Videoaufzeichnungen nicht unverpixelt veröffentlicht werden. Das Onlineportal rügte vor dem EGMR deswegen die
Verletzung von Art. 10 EMRK (freie Meinungsäußerung).

Dass ein Eingriff in dieses Recht stattgefunden hat, war unstrittig. Für eine Verletzung stellte sich die Frage, ob dieser „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ war. Dabei ist
das Recht auf freie Meinungsäußerung mit dem Recht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK) abzuwiegen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellt dazu fest:

(…) Es trifft nicht zu, dass sich Beamte in gleicher Weise wie Politiker bewusst einer Prüfung jeder ihrer Worte und Handlungen aussetzen und deswegen bei Kritik ihrer Handlungen ebenso wie Politiker behandelt werden müssen. (…) Unter bestimmten Bedingungen können bei Beamten zwar die Grenzen für akzeptable Kritik weiter gezogen sein als bei normalen Bürgen. Wenn ihnen aber kein vorheriges Fehlverhalten vorgeworfen wird, kann ihnen ein berechtigtes Interesse daran, ihr Privatleben gegen unter anderem zu Unrecht erhobene Vorwürfe eines Amtsmissbrauches zu verteidigen, nicht abgesprochen werden. Das gilt auch für Polizisten. Aus Art. 8 EMRK ergibt sich zwar keine allgemeine Regel, dass Polizisten grundsätzlich in Presseveröffentlichungen nicht erkennbar sein dürfen, es kann aber Umstände geben, unter denen das Interesse eines Polizisten am Schutz seines Privatlebens überwiegt. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Veröffentlichung eines Fotos, auf dem der Polizist identifiziert werden kann, wahrscheinlich besonders schädliche Folgen für sein Privat- oder Familienleben hat, auch wenn es kein Fehlverhalten gab. (…)

Der EGMR hat seinen Sitz in Straßburg. Er entscheidet über Beschwerden von Personen oder Staaten, die die Verletzung der in der EMRK geregelten Rechte rügen. Seine Entscheidungen sind für die betroffenen Staaten bindend. Sie geben zuweilen Anlass, nationale Gesetze oder die Verwaltungspraxis zu ändern.

Jetzt ist die Fürsorge des Dienstherrn gefragt

Angesichts der zunehmenden Veröffentlichungen von Einsatzsituationen in den sozialen Medien, sollte der Dienstherr diese klaren Worte im Blick haben. Wir wünschen uns, dass
betroffene Kolleginnen und Kollegen noch stärker gegen Beeinträchtigungen des Privatlebens geschützt werden.

Die Deutlichkeit der Entscheidung des EGMR ist auf jeden Fall ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Wir bleiben an diesem Thema dran!

EGMR, Urteil vom 31.10.2023 – 9602/18 (Bild GmbH & Co. KG/Deutschland) in: NJW 32/2024, S. 2302ff.